Gerade schreibe ich in meinem Buch darüber, wie wichtig eine ehrliche Standortbestimmung zu Beginn eines Projekts ist. Denn ohne zu wissen, wo man genau steht, ist es schwierig, eine neue Richtung einzuschlagen! Diese Standortbestimmung bezieht sich üblicherweise auf verschiedene Aspekte in der Organisation wie die strategische Ausrichtung, die vorhandenen Strukturen und die Kultur der Zusammenarbeit, doch ebenso können Sie auch die Menschen in Ihrer Umgebung einbeziehen. Denn bezüglich Haltung gegenüber Change gibt es meist sehr große Unterschiede und dementsprechend werden die Kollegen einen Aufbruch in eine neue Richtung eher fördern oder eher behindern.
In meiner Herkunftsfamilie musste ich lernen, dass nicht jeder Mensch einen Musterbruch will und selbst wenn er schädliche Verhaltensweisen verändern möchte, es vielleicht nicht schafft. Es ist verlockend, sehr viel Energie aufzuwenden, diese Menschen zu „bekehren“, doch manchmal muss man akzeptieren, dass sich selbst geliebte Menschen für einen anderen Weg entscheiden und man sie ein Stück zurücklassen muss, um seinen eigenen weitergehen zu können.
Das ist schwierig zu akzeptieren, doch in abgeschwächter Form auch ein häufiges Phänomen in Organisationen. Nicht nur einmal habe ich in Veränderungsprojekten erlebt, dass Personen nachhaltig an ihrer Position gehalten wurden, obwohl es bereits offensichtlich war, dass sie zum neuen Kurs nicht mehr dazupassen. In manchen Fällen werden sogar ganze Organigramme rund um eine neuralgische Person gebaut. Ich stelle dann immer die Frage: Angenommen, diese Person würde plötzlich nach Australien reisen und aus unbekannten Gründen nie mehr wiederkommen – wie würde Sie das Organigramm dann gestalten? Meist erhellt sich dann das Gesicht des Gegenübers und er oder sie weiß genau, wie die im Moment oder für die Zukunft passende Struktur idealerweise aussehen würde. So ein kleines Gedankenexperiment kann viel bewirken …
Sie werden nie alle auf die Reise mitnehmen können und es kostet sehr viel Energie, die Menschen mit dem größten Widerstand gegen eine Veränderung zu gewinnen. Vielmehr ist es zu empfehlen, sich auf jene Personen zu fokussieren, die mit Ihnen gehen wollen. Sehen Sie sich in der Organisation um und finden Sie heraus, wer Ihre positiven Verstärker sind! Es sind jene Menschen, die proaktiv an die Arbeit gehen, ihr Wissen gerne teilen, ein offenes Herz haben und neugierig auf Veränderungen sind. Kim Cameron spricht in seinem Buch „Positive Leadership“ über Energizer und De-Energizer. Während die Energizer hauptsächlich Möglichkeiten sehen, eine wertschätzende Sprache benutzen, verlässlich und fröhlich sind, richten die De-Energizer ihr Augenmerk hauptsächlich auf die Probleme, die Vergangenheit und sich selbst. Doch bitte suchen Sie nicht nach „reinrassigen“ Energizern! Jeder Mensch trägt immer beide Aspekte in sich und auch der kritische Blick eines De-Energizers kann manchmal hilfreich sein. Entscheidend ist die grundsätzlich positive Einstellung.
Oft höre ich an dieser Stelle: Was mache ich, wenn mein Chef der größte Widersacher ist? Das ist zugegeben schwierig, denn Veränderungen sind natürlich viel leichter umzusetzen, wenn das Top Management dahintersteht. Doch auch hier ist es einen Versuch wert, rund um den Chef oder die Chefin herum eine positive und kreative Veränderungskultur aufzubauen, sodass er oder sie irgendwann schlicht und einfach neugierig wird, welche Optionen es neben seinen eigenen noch geben könnte.
Geben Sie nicht auf, seien Sie frech und vernetzen Sie sich mit Menschen, die Sie interessieren, auch wenn Sie scheinbar unerreichbar sind. Denn: Was kann denn passieren, außer dass die Person nicht reagiert? Doch was passiert, wenn sie es doch tut? Ein positives Netzwerk ist 100%-ig ein Boost für Ihre Karriere, Ihre Organisation und im Übrigen auch für Ihr Wohlbefinden.
Viel Spaß dabei und herzliche Grüße,
Mira Meiler