Sollten Sie in all dem Veränderungschaos gerade nicht wissen, wohin Sie sich orientieren sollen – dann verwenden Sie die Lustangst als Kompass! Lustangst? Das ist das, was Ihnen schreckliche Angst macht und worauf Sie gleichzeitig unerhörte Lust haben. Ich bin überzeugt, dass jeder Mensch diesen Kompass eingebaut hat. Es ist dieses fast unerklärliche Gefühl, wo man etwas machen möchte, was sehr schwierig, sehr aufregend und eigentlich unmöglich ist – definitiv etwas, das außerhalb der eigenen Komfortzone liegt. Doch man will es und zwar zumindest so dringend, dass ein erster Schritt möglich ist.
Mich hat es z.B. vor vielen Jahren recht plötzlich in die Berge gezogen. Ich wollte richtig bergsteigen gehen und gleichzeitig hatte ich große Angst vor allen Bergen, die über 1000 hoch sind – also auch vor den Wiener Hausbergen! Ich hatte keine Ahnung von Ausrüstung, Wegen und v.a. ob meine Angst überhaupt berechtigt ist. Um einen ersten Schritt zu machen, trat ich dem Alpenverein bei und schloss mich einer geführten Tour auf den Schneeberg an. Ich fand mich mit meinen damals 25 Jahren mit ein paar Senioren und Konditionsschwachen in der Gruppe wieder um erste Bergerfahrungen zu machen. Irgendwie war es mir peinlich und dennoch war ich nach der ersten Tour im Schneckentempo sehr stolz auf mich! In weiterer Folge entdeckte ich die Berge als absolute Kraftquelle für mich, wo ich mich auch in turbulenten Zeiten zentrieren kann und angesichts eines schönen Berges kann ich perfekte Entscheidungen treffen. Mittlerweile hab ich sicher über 1000 Bergtouren in den Alpen hinter mir und einige Touren im Ausland wie den Pyräneen-Weiterwanderweg, die Überschreitung des Ruwenzori-Gebirges in Uganda oder der Cordillera Blanca in Peru.
Bei Menschen in Organisationen beobachte ich oft, dass sie die Tendenz haben, sich sehr große erste Schritte vorzunehmen und dann sehr lange warten, bis sie sie tun. Denn die Angst vor dem Scheitern ist zu groß und es steht einfach zu viel auf dem Spiel. Wenn ich z.B. eine bisher klassisch geführte Abteilung agiler – d.h. mit flexibleren und rascheren Reaktionsmöglichkeiten – aufstellen möchte, wäre die Einführung von einer neuen, agilen Struktur von einem Tag auf den anderen vermutlich ein sehr großer Schritt. Die Menschen wären überfordert, weil sie die neue Art zu Arbeiten noch nicht kennen oder können. Stattdessen könnte man dort starten, wo Lust ist, etwas neues auszuprobieren und doch ein gewisser Respekt vor den Konsequenzen – also z.B. für ein kleines, aber dennoch wichtiges Projekt ein paar experimentierfreudige Personen zusammentrommeln und die agilen Methoden dort spielerisch, aber konsequent umsetzen.
Wie sieht es bei Ihnen aus? Welche Lustangst haben Sie? Jetzt, in dieser immer noch außergewöhnlichen Situation rund um COVID-19 einen neuen Job suchen? Einer Kollegin endlich einmal Grenzen setzen? Mehr Sport machen, um das Immunsystem zu stärken? Eine Firma gründen? Dem Partner einen Heiratsantrag unterbreiten? Für jedes Thema, das mit Lustangst verbunden ist, gibt es 1000 Gründe dagegen. Und mindestens einen dafür: Ich hab‘s probiert. Im Laufe der Zeit habe ich herausgefunden, dass mit jeder Lustangst ein Potential in einem schreit, das genutzt werden möchte.
Doch Achtung – der erste Schritt muss nahe genug an den aktuellen Gewohnheiten sein, aber auch deutlich genug in die gewünschte Richtung der Veränderung gehen. Wenn ich damals gleich alleine mit schlechter Ausrüstung auf den Berg gelaufen wäre, hätte ich vielleicht sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Der erste Schritt mit geführten Seniorentouren war nahe genug, um mich sicher zu fühlen und ging hoch genug hinaus – nämlich bis auf den Gipfel des Berges – um das Freiheitsgefühl zu spüren, wonach ich mich gesehnt hatte.
Ich bin schon weit herum gekommen in meinem Leben mit diesem Kompass und wünsche auch Ihnen viel Spaß auf diesem lustvollen und aufregenden Weg!
Herzliche Grüße,
Mira Meiler